Spätestens seit Mark Zuckerberg Ende 2021 das Metaverse und die zeitgleiche Umbenennung des Firmenkonzerns in Meta bekanntgab, ist der Begriff in aller Munde. Doch Facebooks Metaverse ist nicht das Erste seiner Art. Mehrere Versuche verliefen im Sand bzw. konnten das initiale Interesse nicht langfristig bedienen. Warum sollte es diesmal anders sein?
In der größtmöglichen Einfachkeit ist das Metaverse ein virtueller dreidimensionaler Ort zur kollektiven Nutzung und Gestaltung, bestehend aus dem Internet als Basis sowie virtuellen Welten und Augmented Reality. Nutzer können aktiv partizipieren, sich in verschiedenen Welten treffen und kollektiv gestalten, arbeiten, unterhalten oder sich unterhalten lassen. Das Metaverse ist also eine weiterentwickelte Variante des bis heute bestehenden Internets, das zwar digital genutzt wird, aber keine Realität suggeriert. In zukünftigen Metaversen verschmiltzt der Nutzer komplett mit der Umgebung und bewegt sich in einem virtuellen 360°-Raum.
An einer vollkommenen Adaption der realen Erfahrung in die digitale Welt wird bereits seit mehreren Jahrzehnten gearbeitet. Der erste relevante Ableger eines Metaversums war das Spiel „Second Life“ aus dem Jahr 2003. Hier konnten sich Nutzer Avatare erstellen, mit anderen Avataren interagieren, sich über Messenger austauschen und mit Unternehmen über digitale Währungen Handel treiben. Der große Unterschied zu Multiplayer-Rollenspielen (MMORPG) besteht darin, dass die Interaktion im Metaversum nicht auf ein bestimmtes Ziel ausgelegt ist, sondern die permanente Interaktion der Mitglieder verstärkt werden soll. Dennoch ist dieser Versuch der Definition beinahe zum Scheitern verurteilt.
Selbst die kompetentesten Experten wie etwa Matthew Ball, dessen Abhandlung The Metaverse: What It Is, Where to Find it, and Who Will Build It beinahe das Standardwerk zum Metaverse ist, definiert das Metaverse nicht als das, was es ist, sondern vielmehr als das, was es nicht ist:
All dies ist das Metaverse nicht – aber all diese Elemente können und werden Teil des Metaversums sein! Im gleichen Werk liefert Ball jedoch auch eine Erklärung, in welche Richtung sich ein Metaversum entwickeln könnte:
Vereinfacht gesagt wird das Metaversum irgendwann das Internet so ablösen, dass wir in der realen Welt mit den Personen in unserem direkten Umfeld kommunizieren werden, wobei dieses Umfeld regional um unseren aktuellen Standort begrenzt ist. Die gleiche Kommunikation, inklusive aller Erfahrungen wie Konzerte, Videospiele, Workshops und Handel werden wir im Metaversum ohne regionale Begrenzung mit Usern auf der ganzen Welt teilen können.
Das digitale Umfeld ist überall, das Internet ist omnipräsent. Egal wo sich Benutzer digital aufhalten, dort befindet sich bereits Werbung. Ein Blick auf die Nutzungsdauer in Minuten verrät, wie viel Zeit Menschen online verbringen.
Statista - Ranking der Länder mit der höchsten durchschnittlichen Internetnutzungsdauer über Laptops, Desktop-PCs und Tablets weltweit im Jahr 2021 (in Minuten pro Tag)
Ein allumfassendes Metaverse hat das Potential, die Nutzungsdauer noch stärker nach oben zu treiben. Auch die zunehmende Digitalisierung vor allem in Schwellenländern unterstützt diesen Trend. Unternehmen sind damit also fast verfplichtet, die Präsenz in den wichtigsten digitalen Kanälen auszubauen, um das Branding zu stabilisieren, Zugriffe zu erhöhen und Umsätze auszubauen. Unternehmen, die sich daran nicht beteiligen, verlieren im globalen Vergleich die Existenzgrundlage. Gleichzeitig können Unternehmen ein Metaversum perfekt für digitale und analoge Umsätze nutzen. Produktverkäufe können und werden definitiv auch weiterhin das analoge Leben beeinflussen.
Neu im Metaversum ist hingegen die Tatsache, dass das Streben nach Individualität und der Geltungsdrang der User direkt durch digitale Produkte bedient werden können. Accessoires für Avatare, besonders limitierte Gegenstände in Spielen oder NFTs generieren bereits jetzt drastische Umsätze. In einem stark populierten Metaverse dürften derartige Gegenstände zukünftig stark an Wert zunehmen. Für NFTs werden bereits jetzt Millionensummen ausgegeben. Da das Metaversum eine Art digitale Erweiterung der realen Welt ist, funktionieren auch die Marktmechanismen ähnlich. Bereits jetzt investieren Anlieger siebenstellige Summen, um sich digitales Land zu sichern – immer mit der Idee, dieses dann gewinnbringend weiterzuverkaufen.
Anlieger und Unternehmen profitieren im Metaversum also genau so, wie sie es in der Realität tun würden. Nur ist das Metaversum ein sich gerade entwickelnder, noch größtenteils unerschlossener Markt.
Das Metaversum allgemein ist ein Kunstbegriff, erstmals erwähnt im dystopischen Sci-Fi Roman Snow Crash von Neil Stephenson. Die Tatsache, dass das jetzt entstehende Metaverse eng mit Facebook und Zuckerberg verknüpft ist, ist nicht mehr als ein Marketing-Stunt. Als eines der wertvollsten Unternehmen überhaupt verfügt das ehemalige Facebook natürlich über eine gewaltige Marktmacht, weswegen die Idee des Metaversums jetzt erst richtig ernst genommen wird bzw. in die breite Öffentlichkeit getragen wird. Durch die Namensänderung des Konzerns in „Meta“ erfolgt ein gleichzeitiger Branding-Effekt, der den allgemeinen Begriff des Metaversums sofort mit dem Zuckerberg-Imperium assoziiert. Besonders an der Idee ist, dass Meta über zahlreiche Faktoren verfügt, um ein reales Metaversum auferstehen zu lassen. Die Technologie ist ebenso vorhanden wie die Bekanntheit, die Datengrundlage zur optimalen Gestaltung wurde in den letzten Jahren geschaffen und zahlreiche externe Anbieter wie etwa der Hersteller der VR-Brillen Oculus wurden in das Unternehmen integriert.
Facebook/Meta ist also in der Pole Position, wenn es darum geht, die nächste Plattform, den Nachfolger des Internets zu gestalten. Das Datum der Verkündung und die Konsequenz, gleich den Firmennamen anzupassen, haben dabei gleich mehrere Gründe:
Der Umsatz von Facebook stieg seit ca. 2010 exponentiell an. Das freut Inhaber, Mitarbeiter und Investoren, stellt die Führung aber natürlich vor extreme Probleme. Wer exponentielles Wachstum sieht, wird das auch in Zukunft erwarten. Als Marktführer und Gründungsunternehmen der nächsten großen Kommunikationsrevolution würde der Wert des Unternehmens und der reale Umsatz noch ewig ansteigen.
Statista - Umsatz von Meta weltweit in den Jahren 2005 bis 2021 (in Millionen US-Dollar)
Der Konzern verdient sein Geld mit Daten und Werbung. Je mehr Nutzer Meta in seinen Plattformen vereint, desto größer ist der Gewinn durch Werbung und durch die Sammlung von Daten. Bereits jetzt führt im Social Media Bereich kein Weg an Meta vorbei, in den Top-10 der größten Netzwerke finden sich vier Meta-Plattformen wieder. Doch Meta plagt das gleiche Problem wie den Google-Konzern Alphabet: Der eine Konzern kann nur Social Media, der andere nur web-basiertes Internet. Trotz zahlreicher Versuche konnte noch keiner der beiden in die Domäne des anderen einbrechen. Mit dem Metaverse hätte Meta die komplette Internetnutzung auf seine Seite gezogen und den Kampf um die komplette digitale Marktführerschaft gewonnen.
Statista - Ranking der größten Social Networks und Messenger nach der Anzahl der Nutzer im Januar 2022 (in Millionen)
Facebook ist böse, kaputt, unsicher, invasiv und monopolistisch! Meta ist neu, aufregend, visionär, unbefleckt. Die Planung und Entwicklung des Metaverse finden schon lange statt, der Zeitpunkt des Release wurde aber bewusst gewählt. Exakt in einer Zeit, als Facebook durch Datenskandale und politische Verwicklungen extrem negativer PR ausgesetzt war, wurde der Schalter umgelegt. Das böse Netzwerk von früher existiert nicht mehr, der Konzern blickt nach vorne – und zwingt Mitglieder, es ihm gleichzutun. Einem visionären Unternehmen kann man Skandale schlechter nachtragen als einer bereits etablierten, mit einem negativen Image behafteten Marke.
Das Metaverse ist die digitale Zukunft und wird Internet, Social Media und digitale Kommunikation, so wie wir sie jetzt erleben, ablösen. Dafür sorgen neue Technologien wie Virtual Reality, Augmented Reality, die Blockchain oder Kryptowährungen wie Bitcoin.
Die Geschichte zeigt, dass alle großen Unternehmen hinsichtlich ihrer Visionen immer ziemlich ähnlich lagen. Internet, Social Media, mobile first, Streaming – die Ideen waren alle bereits Jahre oder Jahrzehnte vorher vorhanden. Manche Unternehmen haben sich besser und zum passenderen Zeitpunkt umgestellt als andere – deshalb haben manche Unternehmen stark an Relevanz verloren. Ähnlich wird es sich beim Metaversum verhalten. Wer die Umstellung schafft, wird profitieren – wer die Umstellung verpasst, wird untergehen.
Zwei Überpunkte sind dennoch unklar:
Das Metaverse ist die nächste digitale Revolution, deren Entwicklung wir genau jetzt live miterleben dürfen und auf die wir uns vorbereiten müssen. Es wäre im Sinne der Chancengleichheit nur wünschenswert, wenn das Metaverse kein monopolistischer, dystopischer Ort wäre, sondern ein grenzenloses digitales Erlebnis.